Inklusion: Das Toleranz-/Akzeptanz-Paradoxon

Seit das Thema Inklusion zunehmend in das öffentliche Interesse rückt, fühlt es sich so an, als würde die Toleranz rapide abnehmen. So manches Stigma ist schlimmer, als die Erkrankung selbst. Und Menschen, die Toleranz, Akzeptanz und Inklusion „predigen“, sind meine größten Tyrannen. Sie nennen sich progressiv, verhalten sich aber wie Despoten.

Wenn man im Autismus-Spektrum ist, wollen sie nicht, dass man eine eigene Meinung hat. Sie sehen dich als eine Art erwachsenes Kind, das Bevormundung braucht. Stimme daher immer allem enthusiastisch zu und beschwere dich nicht, wenn sie ungebeten das Wort für dich ergreifen.

Einige der toxischsten Dinge, die ich je über Autismus gehört habe, stammen von diesen Leuten.

Inklusion

Was bedeutet das eigentlich? Die Definition á la Lexikon muss ich ja nun nicht wiedergeben. Viel mehr geht es darum, wie die, die Inklusion, Toleranz und Akzeptanz predigen, das alles umsetzen. Wie sieht es aus da draußen, im Jahr 2023?

Ich erlebe einfach alles davon nur als leere Worthülsen. Hohle Phrasen, die benutzt werden, um sich nach außen hin zu profilieren. Der Geltungsdrang ist damit befriedigt und wenn es dir als betroffene Person dabei schlecht geht, ist das deine eigene Schuld.

Gelebte Realität

Vorweg, das Thema Inklusion ist sehr umfassend. Ich kann hier nicht pauschal über alle Behinderungen sprechen und noch weniger über die, mit denen ich nie Berührungspunkte hatte. Wir bleiben also beim Hauptthema dieses Blogs, Autismus.

90% der Autisten will man nicht auf dem Arbeitsmarkt und was die Kinder angeht, die möchte man am liebsten auch nicht in Regelschulen. Man hat da schließlich irgendwo einmal etwas aufgeschnappt und einen Film zum Thema gesehen, das reicht dann auch schon, um aus der Inklusion eine Exklusion zu machen.

Integrationshelfer, Schulbegleitung, Fachpersonal, Nachteilsausgleich etc.? Ja, gibt es alles, aber das kostet Geld und wenn fachlich unkundiges Amtspersonal eine „Meinung“ hat, kämpfst du über Jahre, die Kassen finden auch immer neuere und kreativere Wege, sich um ihre Pflichten zu drücken und dann muss man dafür auch noch Zeit opfern – außerdem wollen dann alle Schüler oder Arbeitnehmer eine Bevorzugung, das geht natürlich überhaupt nicht.

Für Arbeitgeber gibt es eine Art Ablassbrief, die sogenannte Ausgleichsabgabe (§ 160 SGB IX), die 61 Prozent der deutschen Unternehmen auch nutzen. Mit direkteren Worten:

61 Prozent der deutschen Unternehmen bezahlen Geld dafür, dass sie keine behinderten Menschen anstellen müssen.

Dafür gibt es doch schließlich Behindertenwerkstätten (WfbM), bekommt man dann zu hören…

Teilhabe

Wenn ich „Teilhabe“ höre, stellen sich mir die Haare. Wenn darüber berichtet wird, geht es ausschließlich um die Integration von behinderten Menschen in den Arbeitsmarkt. Worte wie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fallen aber nie.

Für den Gesetzgeber bedeutet das, dass diese behinderten Menschen aus der Statistik verschwinden und, dass man sie wirtschaftlich noch irgendwie missbrauchen kann – für 1,35 €/Stunde im Namen der vielgelobten Inklusion, in einer WfbM zum Beispiel. Das Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt hier nicht, aber hey, nicht alles ist perfekt und wenigstens hast du eine Rollstuhlrampe! 🙄

Seit einiger Zeit verfolge ich den Instagram-Kanal von Lukas Krämer (@sakultalks). Ich empfehle selten Social-Media-Kanäle oder andere Blogs, aber hier mache ich eine klare Ausnahme!

Kurz umrissen: Herr Krämer kämpft mit Kampagnen um Aufklärung und stellt gleichzeitig aus erster Hand dar, wie Inklusion, Barrierefreiheit, Akzeptanz und Toleranz in der Realität aussehen.

Die Progressiven

Wenn man unter all den oben genannten Umständen Aktivisten und Fürsprechende auf seiner Seite hat, die einen Kampf für dich und mit dir ausfechten, ist das doch eine selbstlose und tolle Sache, oder?

Nein.

Die wenigsten dieser Aktivisten kämpfen für Betroffene und auch nicht an deren Seite. Sie kämpfen für sich selbst und kapern zur Selbstinszenierung Themen, die die Probleme Betroffener in die Unglaubwürdigkeit und die Lächerlichkeit ziehen.

Wer sollte denn einen Autisten noch ernst nehmen, wenn genau diese Aktivisten seit Jahren dafür sorgen, dass Autismus infantilisiert wird und gerade sie deswegen diejenigen sind, die für autistische Menschen sprechen müssen? Das alles geht inzwischen weit über das Thema Behinderungen hinaus.

Und wenn Betroffene Einwände haben, Sorgen oder Bedenken, ist das dann nur eine Folge ihrer Behinderung und man hat eine fabelhafte Rechtfertigung, das Wort für jemand anderen zu ergreifen. Sie wollen die Oberhand und denken, dass jeder Zugang zu den gleichen Bedingungen hat, wie sie.

Folgen und Fazit

Man trifft dann auf Phänomene wie, dass man am Aussprechen gehindert, sogar komplett aus Gesprächen oder Aktivitäten ausgeschlossen wird. Die Höflichkeitsform „Sie“ weicht unaufgefordert dem „Du“, im ärgsten Fall treffen sie Entscheidungen für dich, weil du wahrscheinlich zu dumm bist, es selbst zu tun.

Dieses Verhalten von Aktivisten hat maßgeblich dafür gesorgt, dass man sich in der breiten Bevölkerung ständig erklären muss – gegenüber Kollegen, Freunden, Fremden wie auch manchmal der Familie. Und wenn man selbst das Wort ergreift und für sich sprechen will, verklärt man das zum „verinnerlichten Ableismus“ oder der „Opferrolle“.

So sehen für mich Intoleranz, Ablehnung und Exklusion aus und das alles dafür, dass sich Gruppen für Anerkennung unter Beweis stellen möchten.

Es ist paradox aber leider typisch, dass eine Mehrheit im Namen der Minderheit spricht und versucht, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen.