Die meisten Deutschen recherchieren Krankheitssymptome und Therapiemöglichkeiten lieber online über „Doktor Google“, zeigen Umfrageergebnisse.
80 Prozent der Befragten entscheiden erst nach einer Internetrecherche zu ihren Symptomen, ob sie einen Arzt konsultieren. Leider behandelt die besagte Umfrage nur die Tatsache und potenzielle Folgen daraus, nicht aber die Ursachen, warum so viele Patienten einem Arztbesuch ausweichen.
Ursachensuche
Aufgrund der Kosteneinsparungen der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) haben Ärzte immer weniger Zeit für Patienten. Zudem verdienen sie daran weniger. Die Zwei-Klassen-Medizin wird zwar immer noch heftig bestritten, dennoch warten GKV-Versicherte oft bis zu einem halben Jahr auf einen Facharzt-Termin. Privatversicherte bekommen ihn binnen weniger Tage und werden dabei auch nachhaltiger behandelt: Schnellerer Termin, bessere Medikation, bessere Beratung.
Werden die Bürger immer kränker, sodass die Krankenkassen chronisch pleite sind und deshalb immer weniger leisten? Das kann man so pauschal nicht sagen. Auch der demographische Wandel ist keine Universal-Entschuldigung. Versicherungsfremde Leistungen heißt das Stichwort. Das bedeutet, Beiträge zur Krankenversicherung können zweckentfremdet werden und verschärfen das Problem des Zwei-Klassen-Systems.
Lange Zeit gab es eine Ärztemigration. Bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen sind häufige Gründe für die Emigration von Medizinern. Die Zahlen der Auswanderungen waren in vergangenen Jahre teils fatal. Ärztemangel und Versorgungslücken sind die Folgen. Die Immigration von Medizinern bietet dem bis heute keinen Einhalt.
Auch die Ärzte tragen eine Mitschuld. Umfragen zeigen, dass sich viele Patienten beim Arzt nicht ernstgenommen fühlen. Jeder Dritte fühlt sich nur unzureichend aufgeklärt, Kommunikation auf Augenhöhe mit Patienten ist offenbar nicht die Regel.
Es geht auch ein schleichender Gewöhnungseffekt einher. Immerhin gibt es schon Anleitungen, wie man vom Arzt ernst genommen wird. Dort ist übrigens zu lesen, dass Ärzte Informiertheit an ihren Patienten schätzen. So oder so, das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt sich – das bestätigt auch eine Bertelsmann-Studie.
Von der inzwischen notwendigen und etablierten Zweit- und Drittmeinung, werden viele Krankheiten vorschnell als psychosomatisch abgetan. Die Folge, Patienten werden abgestempelt und auch zukünftige Beschwerden mit einer psychosomatischen Diagnose oft nicht mehr ernstgenommen. Um eine adäquate Diagnose zu erhalten, müssen sich Patienten oftmals bis zu Unikliniken durchkämpfen und selbst mitdenken. Dazu sind viele in der Lage, aber natürlich nicht alle.
Sehr viele Medizinskandale in Deutschland
Auf internationaler Ebene geriet Deutschland in der Vergangenheit immer wieder ins Rampenlicht. Um ein paar der bekanntesten Fälle zu nennen:
Der Heilbronner Ärzteskandal, manipulierte Organ-Transplantationen zugunsten wohlhabender Patienten, die provozierte Antibiotikaresistenz, TGN1412, erfundene Krebsstudien und sogar Contergan muss man noch nennen. Weiter geht es mit dem Abrechnungsskandal, der „Labor-Affäre„, überflüssigen Operationen, fragwürdige Millionen der Pharmaindustrie, dem falschen Arzt Clemens Bartholdy, der ohne Medizinkenntnisse seine „Anforderungen übertraf“ und der neuerliche Fall eines Psychiaters, der Kinder falsch diagnostizierte und sie mit Medikamenten ruhiggestellt haben soll. Und dieses System läuft weiter, tatkräftig unterstützt von den Behörden.
Picken wir uns den Organspende-Skandal von 2012 heraus. Trotzdem das nun beinahe zehn Jahre zurückliegt, sind die Folgen bis heute noch gravierend. Während die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zwar hoch ist, ist das Vertrauen gering und die Spenden marginal. Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei Organspenden Schlusslicht.
Zuletzt noch der Fall des Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy. Kurz zusammengefasst: Es handelte sich um Gert Postel, einen gelernten Briefzusteller, der sich mit gefälschten Papieren und willkürlich aneinandergereihten Fachbegriffen zum psychiatrischen Oberarzt schwindelte. Umgeben von Fachärzten erstellte er Diagnosen und Gerichtsgutachten, wurde für seine Arbeit mehrfach belobt und befördert, „übertraf seine Anforderungen“ laut seiner Vorgesetzten sogar noch. Postels Hochstapelei flog nur durch einen Zufall auf. Für das System gab es bis heute keine Konsequenzen.
Zu Doktor Google, bitte
Zusammengefasst kann man sagen: Wir haben ein Systemproblem. Es scheint nachvollziehbar, warum Doktor Google einen so hohen Stellenwert einnimmt. Patienten verschaffen sich mit dem Googeln ihrer Symptome schnell ein Bild, anstatt sich Fachchinesisch im Termin anzuhören und darauf noch in Ungewissheit zu warten.
Wer meinen Blog hier verfolgt, weiß um einige meiner Erfahrungen und Fehldiagnosen samt deren Folgen. Daher ist es für mich in vielen Fällen leider nachvollziehbar, dass Patienten Doktor Google ihrem Hausarzt erst einmal vorziehen. Hätte ich keine engagierte Apothekerin und das Internet gehabt, wäre mein Gallensäureverlustsyndrom noch heute „nur psychisch„, genau wie die entzündete Gallenblase ein orthopädisches Problem.
Die Kranken selbst kommen auch nicht ohne blaues Auge davon. Die Deutschen sind unrealistisch genügsame Patienten. Während 90 Prozent die Patientenversorgung lobpreisen, schafft es das ehemals weltbeste deutsche System gerade noch auf den 20. Platz im Vergleich. Dabei messen wir uns nicht einmal mehr auf „westlicher Augenhöhe“ mit Ländern wie der Schweiz, Schweden oder Frankreich, sondern mit der Andorra und Slowenien.
Auch der Faktor Bequemlichkeit muss berücksichtigt werden. Da gab es sicherlich schon einmal jemanden, der ein ähnliches Problem hatte. Ja natürlich, das ist viel bequemer als einen Termin zu vereinbaren, auf den Termin zu warten, gefühlte Ewigkeiten im Wartezimmer zu verbringen um dann nach wenigen Minuten aus dem Sprechzimmer zu stapfen.
Das Maß der Dinge lautet dennoch: Eine kompetente Beratung, eine qualifizierte Diagnose und eine passende Behandlung kann immer nur ein Arzt stellen!