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Die deutsche Obsession mit dem „Hotel Mama“

Die Deutschen und „Hotel Mama“, eine medial abgedroschene und gehypte Liebesgeschichte. Kaum ein Jahr vergeht, wo nicht über Nesthocker und die pseudo-dramatischen Entwicklungen der heutigen Jugend berichtet wird. Und das hat offenbar einiges an Nährboden.

Im Urteilen und Belehren sind die bekanntlich Deutschen Weltmeister. Was nun Hotel Mama angeht, wird vornehmlich Faulheit genannt. Andere Ursachen finden hingegen gar keine Beachtung, was für die jährliche Berichterstattung wahrscheinlich auch keine Schlagzeile bedeuten würde.

Noch zuhause wohnen, geht gar nicht!

Wohnst Du noch zuhause?„. Eine interessante Wortwahl, die das Kernproblem schon eingrenzt: Wo sollte man sonst wohnen, wenn nicht in seinem Zuhause? In der Schule oder der Firma vielleicht? Das jedenfalls wäre abseits asiatischer Breitengrade außergewöhnlich.

Nun dann, wo liegt eigentlich die Grenze? Darf man mit 15 noch „zuhause wohnen“? Mit 20 vielleicht? Wir kennen sicher alle jemanden, der jemanden kennt oder schonmal von einem faulen Mitt-30er gehört hat, dessen Mutti täglich kocht, sich um die Wäsche kümmert und dem Nachwuchs auch noch die Chips an die Couch trägt.

Statistiken zu Hotel Mama

Die Statista-Statistik aus dem Vorjahr 2020 zeigt, die meisten „Nesthocker“ sind Schüler, Studenten und Auszubildende. Überraschung! Hätte die Klatschspalte doch gerne faulenzende Arbeitsverweigerer, die sich weder selbst ein Essen zubereiten noch die Schmutzwäsche waschen können und den ganzen Tag vor Fernseher oder Spielkonsole verbringen.

Und was die Azubis angeht sind sich die Deutschen einig, Lehrlinge sollen keinen „Azubi-Mindestlohn“ (Mindestausbildungsvergütung) haben, denn sie können ja noch gar nichts – mit ihren 400 € Lehrgeld können sie aber locker eine Wohnung finanzieren. Und Studierende mit ihren 450 €-Jobs können in eine WG ziehen!

Wir haben eine bundesweite Wohnungsnot

Die Zeiten, in denen das Amt pünktlich zum 18. Geburtstag eine Miete übernimmt, sind längst vorbei. Aus der Stadt ziehen, auf das Land? Kein Problem, aber dann muss ein Auto her. Anschaffungskosten, Sprit, Versicherungen, all das sind immer noch weitere Kosten.

Die Mietkosten explodieren schon seit Jahren. Man sagt, es soll nicht mehr als ein Drittel des Einkommens für Miete aufgewendet werden. In der Realität der meisten Deutschen ist es rund die Hälfte. Aber es sind nicht nur die Mieten selbst, es ist auch knapper Wohnraum. Der Bund hat sich vieler seiner Sozialwohnungen entledigt.

Mietpreisbremse? Kann man machen, wenn man sich um das eigentliche Problem drücken will, der Spekulation mit Grundbedürfnissen – die die Kosten in utopische Höhen treibt. Die Wohnungsnot in deutschen Großstädten ist verheerend, aber es betrifft schon lange nicht mehr nur Metropolen, sondern längst auch ländliche Regionen.

Beschwichtigungs-Klassiker: Leerstand

Es spielt übrigens keine Rolle, ob in einem kaum bewohnten Ort im Osten Deutschlands ein Leerstand herrscht, wenn Wohnungssuchende dort weder Arbeits- und Ausbildungsstellen finden, noch Hochschulen haben. Das ist im übrigen auch der Hauptgrund, warum dieser Orts überhaupt ein Leerstand herrscht.

Deutschland, sei einfach mal ruhig!

Nicht nur, dass die Klatschpresse vermitteln möchte, welche gigantischen Zahlen fauler und „bildungsferner“ junger Leute da draußen auf Kosten des geschröpften Arbeitnehmers existieren, es hat auch immer noch eine Belehrung mit an Bord: Raus mit den Blagen, sobald sie mit der Schule fertig sind – geh und verdien‘ mir meine Rente! Lasst sie bloß nicht erst auf die Beine kommen – wegen „Selbstständigkeit lernen“ und so!

Dramatische Zahlen?

Nun aber zu den Zahlen: Während man in Deutschland im Schnitt mit 23 Jahren das Elternhaus verlässt, zieht man in Italien mit 30 Jahren aus. Man könnte fast behaupten, dort haben Familie und Zusammenhalt noch eine Bedeutung… Aber das geht noch besser, in Montenegro sind es sogar 32 Jahre.

Um es zusammenzufassen und endlich auf den Punkt zu bringen: Die deutsche Obsession des „Hotel Mama“ ist so dramatisch, dass wir einen der letzten Plätze in der Hotel Mama-Statistik belegen. Nach uns folgt nur noch Finnland mit 21 Jahren.

Abseits von Deutschland existiert dieses Phänomen bei rund zwei Dritteln der Weltbevölkerung. Mit Selbstständigkeit, Helikoptereltern und welchen herabwertenden Begriffen auch immer, hat „Hotel-Mama“ durchaus seinen Sinn in den jeweiligen Gesellschaften. Sei das nun die Möglichkeit zum Existenzaufbau der Sprösslinge, der Absicherung der Eltern oder Einkommensteilung. Und zu guter Letzt, das Konzept Familie.

Allein der Begriff „Hotel-Mama“ zeigt auf, wie engstirnig und wenig vertraut die Deutschen mit unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten sind.