Das Glossar für Außenstehende und solche, für die Autismus noch Neuland ist. Overload, Shutdown, Meltdown, neurodivers, neurotypisch, Stimming, Masking und vieles mehr. Aber was bedeutet das eigentlich alles?
Dieses kleine Autismus Glossar dient als Referenz auf diesem Blog und soll kurze Erklärungen zu häufigen Begriffen liefern, die damit in Verbindung stehen. Es wird bei Bedarf erweitert, Vorschläge können gerne über die Kommentarfunktion eingereicht werden.
Glossar
Overload
Ein Overload entsteht durch Reizüberflutung. Einige davon wären bspw. berührt zu werden, Lärm, Helligkeit, Hitze, zu viele Menschen, Stress in Beruf und Schule sowie ein fehlender Rückzugsort. Rückzugsorte sind wichtig für Menschen mit Autismus, um sich wieder regulieren und entspannen zu können.
Um sich unter diesen Bedingungen vor einem Overload zu schützen, suchen die einen den Rückzug und/oder machen Schaukelbewegungen, andere halten sich die Ohren zu, spielen mit Gegenständen und wirken dabei abwesend. Ein verbreiteter Irrglauben: Durch Skills, wie man sie aus der Borderline-Therapie (DBT) kennt, können sich Autisten nicht “entspannen”.
Meltdown
Wird die Reizüberflutung zu viel und gibt es keine Möglichkeit sich zu entziehen, droht der Meltdown. Dieser wird oft als Wutausbruch missverstanden, ist tatsächlich aber nur eine “Not-Entladung” – vergleichbar mit einem Dammbruch. Betroffene geraten in Panik, schreien, viele weinen oder schlagen um sich.
Während ein Wutausbruch zielgerichtet ist, ist es ein Meltdown nicht. Autisten haben dabei selbst keine Kontrolle mehr über sich. Auch hier halten sich hartnäckige Mythen wie, “gutes Zureden”, ein “Klaps an die Ohren”, Rügen, Tadeln, Mahnen würden den Menschen mit Autismus dann schon wieder zur Vernunft bringen. Tatsächlich sind das aber nur zusätzliche Reize, die den Zustand sogar verschlimmern.
Shutdown
Der Shutdown kann als Notabschaltung betrachtet werden. Dieser setzt nicht zwingend einen Meltdown voraus, ein Overload kann bereits genügen. Betroffene liegen oder sitzen da, sind teilnahmslos, quasi nicht mehr ansprechbar (Apathie).
Visuelle wie akustische Reize dringen nicht mehr zum Betroffenen durch. Aber Achtung, Anfassen verboten! Auch hier halten sich gefährliche Mythen: Aktivieren/Stimulieren wird fehlschlagen und die Situation für Betroffene verschlimmern. Auch ist das kein Zustand des Wollens, sondern des nicht-Könnens.
Je nach Intensität des Auslösers dauert ein Shutdown einige Minuten, aber auch einige Stunden an.
Shutdowns haben Folgen. Man kann diesen Zustand in zwei Phasen einteilen: Die oben beschriebene Akutphase und die Nachwirkung. Betroffene sind in der Nachfolge erschöpft. Das hat nichts mit Lustlosigkeit oder “so Anstellen” zu tun! Ein Shutdown verbraucht viel Energie und benötigt eine gewisse Regenerationsphase.
Das äußert sich mit langen Schlafphasen und einer depressiv wirkenden Stimmung. Diese Nachwirkungen können oft einige Tage lang anhalten. Auch hier gilt, Stimulationen vermeiden und nicht von außen einwirken. Die Reizempfindlichkeit ist in diesem Zustand stärker als sonst.
Stimming
Englischer Kurzbegriff für „Self stimulating behavior„, selbststimulierendes Verhalten. Wird oftmals mit Tics verglichen, dient jedoch dem Zweck der Beruhigung und Selbstregulierung zum Schutz vor Reizüberflutung als Druckabbau. Selten auch bei Reizarmut zur Stimulierung.
Es handelt sich dabei um Bewegungen (mit Händen oder Armen flattern, Klatschen, Schnipsen, Schaukeln mit dem Oberkörper), Töne (Monologe, Laute, weitere Geräusche) oder ist auf Gegenstände (Spielen, Drehen von Objekten) bezogen. Als Objekt-Beispiel hierfür dient der bekannte Fidget-Spinner sehr gut.
Neurotypisch und neurodivers
Es ist diskriminierend und unangemessen, Begriffe wie „normal“ oder „normaler Mensch“ zu verwenden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jemand, der von dieser Norm abweicht, „unnormal“ ist. Eine Person wird somit abgewertet und negativ klassifiziert. Außerdem, was ist denn schon normal?
Neurodivers/Neurodiversität bezeichnet Menschen, deren Neurotyp abweichend ist. Das umfasst bspw. Autisten, Legastheniker, Menschen mit ADHS und Dyspraxie.
Dazu gibt es das Antonym Neurotypisch. Diese Bezeichnung beschreibt alle, die eine herkömmliche neurologische Entwicklung aufweisen.
Allistisch/autistisch
Von engl.: Allistic. Beschreibt das Gegenteil von autistisch. Hierbei handelt es sich schlicht um „nicht-autistische“ Personen.
Zum Vergleich die Definition von autistisch: Eine in ihrem Neurotyp (siehe oben) abweichende Person, deren Identität aus einer anderen Art Kommunikation, Verstehen, Denken, Sein und Fühlen besteht. Das Gehirn ist quasi anders verdrahtet.
Masking
Masking (Maskieren, Tarnen), das Imitieren neurotypischen Verhaltens sowie das Unterdrücken autistischen Verhaltens. Anders gesagt bedeutet das, so zu tun, als wäre man nicht autistisch.
Beispiele für die Imitierung wären das Aufbauen von Blickkontakt und das Skripten von Gesprächen, gezielt Smalltalk betreiben, Nachahmen von Gesichtsausdrücken und Verhaltensweisen in spezifischen Situationen (Lachen nachdem ein Witz erzählt wurde, selbst Witze erzählen, Gespräche erfinden, „locker drauf sein“, Augenzwinkern, Kopfnicken).
Beispiele für das Unterdrücken wären das Ertragen sensorischer Reize (bzw. so zu tun als ob), Spezialinteressen verbergen und akzeptierte Interessen vortäuschen, Unterbinden von Stimming, ein Repertoire einstudierter Antworten auf Fragen parat zu haben, statt „instinktiv autistisch“ zu antworten.
Die meisten dieser Punkte sind für Autisten nicht intuitiv. Daher dient beides dazu, im Alltag weniger aufzufallen, angepasst zu wirken, akzeptiert zu werden und Anerkennung zu erfahren.
Ableismus
Abgeleitet von engl. Ableism (able = fähig sein, ism = Ideologie, Glaubenssystem). Ungleichbehandlung durch Bewertung aufgrund fehlender oder eingeschränkter Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung.
Beispiele:
- Wenn einem Autisten die Fähigkeit abgesprochen wird, rationale Entscheidungen treffen zu können, weil im Glaubenssystem des Ableisten eine Intelligenzminderung mit Autismus einhergeht.
- „Es könnte dir schlechter gehen“
- Aberkennen/Herabspielen eines Problems.
- „Du bist trotz (deiner Behinderung) hübsch/in der Lage zu…/gut in…“
- Bestimmt gut gemeint, bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass man als behinderter Mensch sonst nicht hübsch, nicht in der Lage zu irgendetwas oder gut in etwas ist.
Eine ganze Reihe weiterer Fallbeispiele findet man im Beitrag: Die 100 häufigsten Probleme autistischer Menschen.
Autismus-Burnout
Ein Autismus-Burnout ist mit einem Shutdown vergleichbar. Er unterscheidet sich jedoch dadurch, dass er wesentlich länger anhält. Im Gegensatz zu einem „herkömmlichen“ Burnout, müssen ihm nicht zwangsläufig Depressionen zugrunde liegen.
Sind autistische Personen zu lange anhaltender Stressbelastung ausgesetzt und ihre Bewältigungsstrategien ausgeschöpft, manifestiert sich dieser Burnout im Verlust der Funktionalität von Betroffenen. Der Alltag kann nicht länger bewältigt, selbst typischen Routinen kann nicht länger nachgegangen werden. Außerdem sind eine starke körperliche sowie emotionale Erschöpfung, häufigere Overloads und Meltdowns die Folge.
Solche Stressbelastungen sind beispielsweise zu viele Aktivitäten, Zwänge, zu intensives Masking, Fremdeinwirkung usw. Insbesondere Masking kostet sehr viel Kraft und Aufwand. Über einen zu langen Zeitraum angewandt, brennt die autistische Person aus.