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Aufstehen, Arbeiten, Essen, Bett

Raus aus den Federn, schnell! Nur drei oder vier Stunden Schlaf – wenn überhaupt, aber das muss genügen! Kopf und Körperfunktionen arbeiten noch nicht, alles reine Routine. Wie heiße ich? Wo genau bin ich überhaupt und was erwartet man nun von mir? Auftakeln, irgendwie – mit geschwollenen Augen im grellen Licht des Badezimmerspiegels.

Erste Kopfschmerzen tauchen bereits während der Körperpflege auf. Das Gedächtnis wird langsam aktiv. Essen gezwungen hinabschlingen und ab zum Arbeitsplatz! Durch den morgendlichen Verkehr gekämpft dort angekommen, irgendwie ein lächelndes Gesicht während der Begrüßungsrunde aufziehen, um abfälligen Sprüchen und Fragen der Kollegen zu entgehen.

Arbeit

Arbeiten: Schnell, effizient, produktiv, allzeit bereit für Sonderaufgaben und Sonderwünsche – alles andere hat Konsequenzen. Nicht nachdenken, einfach machen! Jeder ist Einzelkämpfer, damit der Schuldige immer gleich gefunden ist. Rüge, Tadel und Druck sind allseits bewährte Motivatoren. Termine und permanente Bereitschaft am Arbeitsplatz, beim Kunden vor Ort sowie am Telefon, für die Kollegen und den Chef, parallel zur regulären Tätigkeit. Wir sind bewusst unterbesetzt.

Zwischendurch Supervision! Zwei Kollegen haben sich wieder gestritten und alle sind Mittäter, denn niemand hat es verhindert. Kollektive Befragung, Schuldsuche, Rüge, Tadel und Bestrafung. Kompletter Entzug oder Überhäufen mit Arbeit sind eine beliebte Maßregelung.

Mittagszeit

Schnell das Mittagessen hinabschlingen – aber abrufbereit bleiben. Der Arbeitgeber bestimmt ob, wie und wo du Mittagspause machen darfst. Wenn es der Arbeitsaufwand nicht zulässt, musst du Ausstempeln aber trotzdem weiterarbeiten.

Die Augen spielen erste Streiche, das Sichtfeld verschwimmt und zeigt schwarze Punkte. Die Beine beben, die Ohren brummen und pfeifen, die Lider zucken. Kopf, Genick und Rücken schmerzen, die Arme fühlen sich schwächelnd an, die Mundwinkel schlaff. Es breitet sich aus über das ganze Gesicht. Schlaffheit, Taubheit, Stottern und Stammeln, ein unsicherer Gang vorlauter Schwindel – dabei ist es erst Mittag!

Weiter, weiter, weiter. Ich stöhne innerlich. An dritter Stelle in der Schlange an meinem Schreibtisch ertönt die Kollegin und sagt: «Machen Sie sich keinen Stress». Sie hat jetzt Feierabend und übergibt mir deshalb ihre verbleibende Tagesarbeit. In einem „Team“ von zehn Personen bin ich eine von zwei Vollzeitkräften und für die Restarbeit von drei weiteren Halbtageskollegen verantwortlich.

Vier Telefone sind nun auf mich umgestellt, sie klingeln im Minutentakt. Der Chef und ein weiterer Kollege reihen sich hinter ihr und warten mit weiteren Sonderaufgaben auf. Höchstleistung bis zum Schluss!

Zuhause

Heimkommen, nochmals Essen. Reden? Bitte nicht, es ist so anstrengend! Wenn man genau hinhört, kann man dem imaginären Dampf lauschen, der aus dem Überdruckventil an meinem Kopf austritt. Kopfdruck und -schmerz lassen zwar allmählich nach, Körper und Geist sind dennoch am Ende. Ab unter die Dusche und schnell ins Bett, denn der Kreislauf versagt. Es ist gerade erst 18 Uhr, doch es geht nicht mehr, um das Maximum an Regeneration abzuschöpfen, damit sich der Folgetag bewältigen lässt.


Diese Zeilen stammen aus einer Tagesablauf-Beschreibung, die in einer Reha-Klinik verlangt wurde.