Die Altenpflege, wie alle anderen Pflegeberufe auch, immer wieder im Rampenlicht. Es herrscht prekärer Fachkräftemangel, die Bezahlung ist nicht gut und es lässt sich einfach kein Nachwuchs gewinnen. Gerne wird angeführt, dass sich die jungen Leute von heute die Finger nicht mehr schmutzig machen wollen. Das ist Unsinn und es liegt an mehr als nur der Bezahlung.
Vorpraktikum
Ich bin einer der letzten Zivildienstleistenden gewesen, bevor der Dienst abgeschafft wurde. Während meiner letzten Wochen in einem Altenpflegeheim, wurde ich kräftig umworben. Sehr gut hätte ich mich angestellt, sehr beliebt unter den Kollegen und es wäre so bedauerlich, dass der Dienst bald endet.
Zugegeben, ich war gerne dort. Allerdings war ich an keinem einzigen Tag meiner neun Monate Zivildienst in der Pflege beschäftigt. Meine Aufgaben lagen in der Haustechnik. Das hatte den Vorteil, dass mir Strukturen bekannt waren und ich auch einen gewissen Bekanntheitsgrad im Haus genoss.
Aus anfänglichen Schmeicheleien wurde bald die konkrete Frage, ob ich denn Interesse an einem Ausbildungsplatz hätte. Das war im Frühsommer 2009 – zu einer Zeit, wo es den Zivildienst noch gab und Lehrstellenmangel in Deutschland herrschte.
Ich war zwar immer eher IT-Affin und wollte auch eine der begehrten IT-Lehren ergattern, aber die Arbeit dort hatte mir Spaß gemacht und ich kannte die meisten Angestellten des Hauses. Und nun hatte ich da ein Angebot in einem angesehenen Pflegeheim auf dem Tisch.
Wir kennen Sie! Bringen Sie mir einfach eine Kurzbewerbung vorbei.
Gesagt, getan. Da es noch einige Monate bis zum Beginn der Lehre dauerte und der Zivildienst fertig absolviert war, bot man mir zum Überbrücken ein bezahltes Praktikum an. 400 Euro im Monat, das war merklich mehr, als der Zivi-Sold.
Die erste Woche in der Altenpflege
Vier Tage lang wurde ich eingelernt. Ich muss ja nun nicht beschreiben, was die Arbeiten eines Altenpflegers sind. Oberste Priorität hatte sofortige Perfektion meiner Arbeit und der Zeit-Nutzung. So effizient, dass ein ganzer Flügel hilfebedürftiger Menschen, bei minimalster personeller Besetzung schnellstens von mir versorgt werden kann. Als Praktikant und ohne, dass eine geschulte Person dabei überwachend oder unterstützend einwirkt.
Es war ein Kick-Start in diesen Beruf, als würde man an eine Rakete gefesselt werden. Dennoch, es hinterließ ein befriedigendes Gefühl am Feierabend, etwas wertvolles und wichtiges geleistet zu haben.
Was ich in der kurzen Einlernzeit gelernt hatte (und logisches dazu-improvisieren konnte), war jedoch nicht ausreichend. Ich hatte keine fundierten Kenntnisse und noch viel weniger Praxis! Dennoch sollte ich Spritzen setzen und Medikamente ausgeben, nach einigen Malen Zusehen. Das hätte ich gar nicht dürfen, was ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht wusste.
Zehn Minuten, die Stoppuhr läuft!
Es folgten täglich vor Dienstbeginn Motivationsreden, die Zeitvorgaben einzuhalten und eine Stationsleitung, die mit der Stoppuhr hinter der Zimmertüre auf mich wartete. Das ist in keinster Weise übertrieben! Sie nahm sich immer wieder die Zeit, mich irgendwo überraschend abzufangen und mir meine Zeit vorzuhalten.
Man stelle sich einen alten Menschen vor, jemanden der kaum noch oder gar nicht mehr bewegungsfähig ist. Für diesen Menschen habe ich nach Heimvorgaben zehn Minuten Zeit um von Kopf bis zu den Füßen gewaschen zu werden, ihn anzukleiden, direkte Pflege nach Wunsch (eine besondere Frisur kämmen, Schminken, Schmuck, Parfümierung usw.) und das Bett zu machen.
„Bett machen“ bei alten Menschen umfasst nicht die Decke und Kissen aufzuschütteln und das Laken glattziehen. Täglich müssen Geri-Matten gewechselt werden. Trotz Unterlagen sind Urinflecken in 80% der Fälle unvermeidbar, diese finden sich logischerweise nicht nur auf dem Laken, sondern auch auf der Bettdecke. Kurz gesagt, in der vorgegebenen Zeit muss auch noch das Bett frisch bezogen sein.
Pfusch an 14 Bewohnern
Für einen ganzen Flügel, bestehend aus 14 Bewohnerinnen und Bewohnern, war ich allein zuständig. Wie machen das die anderen Pflegekräfte? Pfuschen! Einfach mal das Waschen/Duschen auslassen um Zeit zu gewinnen. Auch einmal „Vergessen“, Inkontinenzmaterial wie Einlagen zu wechseln.
Nun, dann pfuschte ich ab diesem Zeitpunkt um die Zeitvorgaben des Heims zu erfüllen. Meistens mache ich wenigstens eine „Katzenwäsche“. Aber die Einlagen? Irgendwann spielte sich Routine ein – man wird regelrecht zu einer Maschine.
Routine
6:00 Uhr, Dienstbeginn. Alle sammeln sich vor dem Dienstplan am Stationszimmer, um sich ihre Einteilung abzuschreiben. Teildienst, Nachtdienst, Besonderheiten. Kaum einer spricht, alle warten auf die Übergabe der Nachtwache. Dann geht es los.
Zimmer eins: Aufwecken, Waschen, Ankleiden, Bett machen, zum Frühstückstisch bringen.
Zimmer zwei: Aufwecken, Waschen, Ankleiden, Bett machen, zum Frühstückstisch bringen.
Und immer so weiter. Wer glaubt, dass man auch nur annähernd auf diese Weise alle Zimmer abarbeiten kann ohne, dass individuelle Wünsche oder andere Gegebenheiten aufkommen, irrt. Es ist Akkordarbeit. Und der Alltag eines Bewohners sieht auch nicht sehr viel besser aus. Frühstücken, auf das Mittagessen warten, Mittagsschlaf, der ehrenamtlichen Kraft beim Vorlesen der Tageszeitung lauschen, Abendessen, Bett.
Beim den letzten Bewohnerzimmern angelangt, strikt nach Plan, tut sich Unmut auf. Es ist bereits spät und die Person wollte schon vor Stunden frühstücken. Kaum ist der letzte Bewohner in der Liste an den Frühstückstisch gebracht worden, müssen die ersten auch schon wieder abgeholt werden.
Nun ist es Zeit, die schweren Pflegefälle abzuarbeiten. Bettlägerige und andere, die nicht mehr selbstständig essen können. Waschen, dann Essen eingeben. Hierfür sind zwanzig Minuten pro Person eingeplant.
Es ist fast Mittag, kurz vor Dienstschluss um 13:30 Uhr kann erst Pause gemacht werden. Danach müssen alle Bewohner gesucht und an den Mittagstisch gebracht werden. Danach wieder zu den Schwerstpflegefällen, Essen eingeben. Die Bewohner um den Esstisch wieder abfahren und zum Mittagsschlaf auf die Zimmer bringen. Dann Übergabe an die nächste Schicht.
Das war ein Frühdienst. Spät- und Teildienst sind beinahe identisch.
Gesetze vs. Realität
Als Praktikant bewegt man sich in einem gesetzlichen Rahmen. Dieser sieht vor, was getan werden darf und was nicht. Spritzen setzen und Medikamente ausgeben darf ein Praktikant auf jeden Fall nicht! Dennoch verrichtete ich die Tätigkeiten einer reguläre Arbeitskraft. Damit und mit der Tatsache, dass mein Praktikum keinen Lehrcharakter besaß, hätte ich einen Anspruch auf einen üblichen Lohn gehabt.
Aber ich hielt mich zurück und machte meinen Job, da die Lehrstelle immer noch höchste Priorität hatte.
Ich kann nicht mehr…
Drei Monate nach meinem Antritt begannen körperliche Beschwerden. Rückenschmerzen sind noch untertrieben.
Noch fast einen Monat blieb ich stur auf diesem Weg. Immer die Lehrstelle vor den Augen. Quälende Schmerzen, die psychischen Aspekte außer Acht. Man wird zu einer Maschine. Ich hatte nach kürzester Zeit schon nicht mehr das Gefühl, einen Menschen vor mir zu haben, sondern ein Objekt wie auf einer Werkbank, das ich schnellstmöglich bearbeiten muss.
In meiner kurzen Anwesenheit auf dem Wohnbereich dieses Heims, erlebte ich einen fast kompletten Mitarbeiterwechsel. Ist das in anderen Heimen nicht so? Laut Kolleginnen und Kollegen ist es identisch.
Kündigung
Mein damals 22-jähriger (durchaus sportlicher Körper), trat in den Streik. Lähmungserscheinungen und stechende Schmerzen in meiner gesamten linken Körperhälfte… Ein eingeklemmter Nerv sowie eine Blockierung der Brustwirbelsäule waren die Ursache.
Was erst ab und zu auftrat und sich eher nicht auf falsches ergonomisches Arbeiten zurückführen ließ, wurde immer mehr die Regel. Es ging einfach nicht mehr und ich kündigte.
Die letzten vier Wochen wurden mir wahrlich versüßt. Die Auszahlung meiner Überstunden wurde mir zuerst angeboten, dann verweigert. 37 Minusstunden waren es plötzlich über Nacht, obwohl ich keine einzige freigenommen hatte. Und das gleiche war es mit meinen verbleibenden Urlaubstagen. Herzlichen Dank dafür… Egal, Hauptsache raus da!
Die Sache mit der Bezahlung
Jeder der arbeitet, will und muss auch bezahlt werden. Ich arbeitete in einem Heim, das sich über Jahre aktiv für „die neuen Tarifverträge“ einsetzt und pünktlich zur Einführung dieser Verträge ein Tochterunternehmen gründete, um sie zu umgehen. 8,15 EUR die Stunde sollte ich nach der Lehre als examinierte Pflegefachkraft dort verdienen. Sogar mit Übernahmegarantie. Erst Jahre später kam der Mindestlohn.
Fazit
Ich erlebte, dass Individualität und Bedürfnisse von Heimbewohnern irrelevant sind. Sie werden wie maschinell abgearbeitet. Satt und sauber, für alles andere bleibt keine Zeit.
Zweifellos sind die Bewohner in unserem Heim nicht verwahrlost gewesen und bekamen auch genügend zu Essen. Gepflegt und mit vollem Magen, jedoch mit einer „Rest-Lebensqualität“, die wahrlich miserabel ist. Fachkräfte werden hierzu selbstverständlich nicht eingestellt, Tagesbetreuungen o. ä. sind hierfür nicht vorgesehen. Angehörige sind kein Argument. Viele erscheinen erschreckenderweise nie, noch nicht einmal in der Sterbephase.
Für die Preise, die für einen Pflegeplatz verlangt werden, sollte es ein Muss sein, hierfür Betreuungskräfte anzustellen.
Fachkräftemangel? Logisch!
Niemand darf sich ernsthaft wundern, warum sich kaum mehr Auszubildende oder reguläre Mitarbeiter für den Beruf der Altenpflege finden lassen. Menschen sind keine Maschinen und an mangelndem Interesse liegt es sicher nicht!
Es war nicht mein Traumberuf, aber ich habe ihn mit vollster Motivation begonnen. Die Ernüchterung kam schnell. Dienst am Nächsten ist eine gute, befriedigende Sache und ich hätte vieles akzeptieren können. Die schlechte Bezahlung eingeschlossen, auch Samstagsarbeit, kein Problem. Dienstbeginn um 6:00 Uhr, auch kein Problem. Feierabend um 13:30 Uhr ist toll – aber man braucht ihn auch. Schikane, Ausbeutung und „Lohndumping“ sind in Pflegeberufen aber gängig.
Ist das aus der Not heraus so geworden? Sagen wir einfach, ich verstehe heute etwas mehr von BWL als damals. Heimplatzkosten, Betriebskosten versus Entlohnung der Mitarbeiter, dazwischen liegen Welten. Solange sich das jedenfalls nicht ändert, nützen eine gute PR samt Übernahmegarantien und alles andere nichts.