15 Mythen über Autismus

In den Medien werden Menschen mit Autismus häufig entweder als debil oder als hochbegabt dargestellt. Betrifft Autismus nur Kinder und ist er wirklich heilbar? Hier sind die 15 am häufigsten verbreiteten Mythen über Autismus.

1. Autisten können nicht kommunizieren/haben schwere Kommunikationsprobleme

Viele Autisten können sehr gut kommunizieren, auch wenn dabei verschiedene Aspekte für sie nicht selbstverständlich sind. Andere wiederum benötigen alternative Kommunikationsmöglichkeiten, beispielsweise das Aufschreiben oder Tippen, Zeigen oder Piktogramme.

Je nach Autismus-Form ist dies sehr unterschiedlich, grundsätzlich lassen sich Kommunikationsprobleme niemals pauschalisieren.

2. Autismus ist eine Kinderkrankheit

Nein. Weder ist Autismus eine Krankheit, noch betrifft es ausschließlich Kinder. Allerdings bleiben betroffene Erwachsene meist außen vor, wenn dieses Thema diskutiert wird. Es erweckt den Eindruck, als wären sie geheilt worden und leben ein völlig normales, durchschnittliches Leben ohne Defizite. Fakt ist jedoch, aus autistischen Kindern werden autistische Erwachsene. Siehe dazu auch Punkt vier und neun.

3. Stimming muss unterbunden werden

Oftmals wird Stimming (kurz für „Self stimulating behavior„) mit Tics vergleichen und soll am besten schon im Kindesalter abgewöhnt werden, dann am besten noch mit schädlichen ABA-Therapien. Das Stimming erfüllt jedoch den Zweck der Selbstregulierung, Schutz vor Reizüberflutung, sozusagen ein Druckabbau und wichtiger Faktor beim Stressmanagement.

Es handelt sich dabei bspw. um Bewegungen (mit den Händen flattern, Schaukeln mit dem Oberkörper), Töne (Sprache, Monologe, auch Geräusche) oder ist auf Gegenstände (Spielen, Drehen von Objekten) bezogen. Als Objekt-Beispiel hierfür dient der bekannte Fidget-Spinner sehr gut. Jeder Autist hat hier eigene, individuelle „Stim-Toys“ und Methoden.

4. Autismus ist eine Krankheit/geistige Behinderung

Leider liest man sehr häufig von einer „schweren psychischen Störung“ oder einer geistiger Behinderung, das ist jedoch falsch. Autismus ist im Alltag durchaus behindernd, aber keine Krankheit und auch hat auch keine psychischen Ursachen.

Es handelt sich um einen entwicklungsneurologischen Unterschied – eine Wahrnehmungsstörung, die sich nicht mit Psychopharmaka oder Psychotherapien kurieren lässt. Psychische Erkrankungen betreffen jedoch genau so Autisten wie neurotypische Menschen. Aufgrund von Gewalterfahrungen, Mobbing und Ausgrenzung im Alltag sogar häufiger.

5. …ist das Ergebnis von schlechter Erziehung/Impfungen

Beides ist wahrscheinlich der am häufigsten verbreitete Mythos. Autismus hat weder mit falscher Erziehung zu tun, noch mit Impfungen. Forschende gehen heute davon aus, dass die Entwicklung des Gehirns im Mutterleib anders verläuft, denn ein „Autismus-Gen“ gibt es nicht. Vermutlich treffen verschiedenste Faktoren zusammen, darunter auch Umwelteinflüsse und veränderte Zusammensetzungen von Nervenbotenstoffen.

Aber wie kam es dazu, dass so viele Menschen glauben, Autismus sei eine Folge von Impfungen? 1998 stellte der britische Arzt Andrew Wakefield die These auf, dass die MMR-Impfung (Mumps, Masern, Röteln) Autismus auslöst. Seine These basiert auf der Untersuchung von zwölf Kindern, die seiner Meinung nach vor der Impfung „normal“ gewesen seien. Bereits nach kurzer Zeit konnte seine These widerlegt werden, die Behauptung verbreitete sich dennoch wie ein Lauffeuer. In Großbritannien sank die Impfquote darauf erheblich und erholte sich nur langsam wieder. Mittlerweile wurde Wakefield die Zulassung entzogen.

6. Autisten haben keine Emotionen

Ein ebenfalls sehr verbreiteter Mythos, der sogar noch unter älteren Medizinern anzutreffen, aber schlichtweg falsch ist. Neurodiverse Menschen verarbeiten und drücken Emotionen anders aus – das bedeutet aber nicht, dass sie keine haben.

Es fällt ihnen aber durchaus schwer, Gefühle wie Traurigkeit, Freude etc. zu zeigen, ebenso die Gefühle anderer Menschen „zu lesen“ bzw. einzuordnen.

Autisten haben auch Humor, sie neigen nur dazu alles wortwörtlich zu nehmen und so entgeht der ein oder andere Witz.

7. …sind aggressiv/gereizt

Die meisten Autisten sind nicht aggressiv oder gereizt. Dieser Eindruck kann aber zustande kommen, wenn sie sich unbehaglich fühlen, unter Druck stehen oder Angst haben.

8. Autismus gab es früher nicht

Im Jahr 1799 beschrieb der französische Arzt Jean Itard erstmals detailliert ein autistisches Kind. Man geht davon aus, dass auch Isaac Newton (1643-1727) Autist war. Bis in die 1990er-Jahre war in Deutschland eine Autismus-Diagnose selten, obwohl Autismus und seine Formen längst bekannt waren. Das Asperger-Syndrom wurde bspw. erst 1994 in ICD bzw. DSM aufgenommen. Die heutige Häufung der Diagnosen kommt hauptsächlich durch Nachdiagnostizierungen zustande.

Eine „Epidemie“, wie man oft hört, kann die Wissenschaft nicht nachweisen. Hier sind diverse Falschmeldungen in Umlauf die behaupten, dass 1960 eines von 5.000 Kindern und 2020 „bereits eines von 100“ Kindern autistisch seien. Diese Zahlen sind wissenschaftlich jedoch nicht begründet.

9. …ist heilbar

Häufig empfohlene Vitamin D-Kuren, Klangtherapie, glutenfreie/zuckerfreie Ernährung und Sport sind wissenschaftlich nicht haltbar und führen nachweislich zu keiner „Heilung“ von Autismus. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Therapien, um betroffenen Menschen den Alltag zu erleichtern. Autismus selbst ist jedoch nicht heilbar.

10. Autisten können keine Beziehungen/Freundschaften führen

Die typische Darstellung aus Medien und Journalen ist immer nur sehr einseitig. So hört man oft, wie man Autisten animieren und aktiv helfen soll, um sie in Freundschaften und Beziehungen zu bringen, weil sie das selbst nicht können und unter Einsamkeit leiden. Zwischen Können und Wollen besteht ein erheblicher Unterschied, der meist kaum Berücksichtigung erfährt – und noch seltener werden Betroffene dazu befragt.

Viele Autisten wünschen weniger Interaktionen, als man ihnen einräumen will. Das liegt einfach daran, dass es gesellschaftlich nicht akzeptiert ist. Auch autistische Kinder bevorzugen ein Spiel eher allein und fühlen sich unwohl bei Vergesellschaftung. Mit Einsamkeit hat das nichts zu tun. Es gibt aber auch die, die tatsächlich nicht fähig sind, (sexuelle) Beziehungen oder Freundschaften einzugehen. Dies hier ist daher nur ein halber Mythos, denn es trifft sicher auf einige zu, aber nicht auf alle.

11. Alle Autisten sind gleich

Falsch! Man spricht von einem „Spektrum“ um aufzuzeigen, dass eben nicht alle Autisten gleich sind. Dieses breite Spektrum hat eine Vielzahl an Ausprägungen.

12. Alle Autisten haben eine Inselbegabung (Savant-Syndrom)

In der Medienwelt werden Autisten entweder als Mathematik- und Musik-Genies oder als debil dargestellt. Sei es nun Rain Man oder The Big Bang Theory, das beschreibt nur einen winzigen Bruchteil der Menschen aus dem Spektrum. Hochbegabungen sind genau so wie Minderbegabungen nicht auf Autismus beschränkt.

Eine exakte Statistik gibt es nicht, doch geht man davon aus, dass weniger als zehn Prozent eine Inselbegabung haben.

13. Autismus ist die Folge von unbehandelter Hyperaktivität (ADS/ADHS)

Es existiert keine Studie, keine These, keine Untersuchung und keine Analyse zu dieser Aussage, dennoch hört man sie sehr häufig. Einen direkten Zusammenhang zwischen ADHS und Autismus gibt es als unbehandelte Folgeerscheinung nicht. Ein autistischer Mensch kann jedoch, wie jeder andere auch, von einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung betroffen sein (Komorbidität).

14. Autisten haben hygienische Defizite

Man kennt das aus Kindheitstagen: Haarewaschen, Baden, Zähneputzen gehen manchmal nur mit sehr viel Gejammer von der Hand. Die Aussage, dass neurodiverse Kinder sowie Erwachsene hygienische Defizite haben, ist pauschal nicht zutreffend. Meine Wenigkeit wird sogar als „hyper-reinlich“ beschrieben 🙂

15. Asperger ist „leichter Autismus“

Das Asperger-Syndrom ist keine „Light-Variante“, denn es gibt keinen „leichten Autismus“. Im neuen ICD-11 bzw. DSM-5 wird es auch kein Asperger-Syndrom mehr geben. Dies hängt zum einen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Hans Asperger zusammen, zum anderen sollen damit genau diese ableistischen Herabstufungen begrenzt werden. Autismus-Spektrum-Störung (ASS) lautet die neue Klassifikation ab 2022. Diese Bezeichnung fasst die drei bisherigen Formen Asperger-, Kanner- (frühkindlicher Autismus) und atypischer Autismus zusammen.